Dienstag, 11. Februar 2014

"One." Comic-Crowdfunding-Projekt: Interview mit Markus Freise


Markus Freise dürfte vielen myComics-LeserInnen durch seine Short Novel "Zauberspruch für Verwundete" bekannt sein, die 2011 für den Web-Sondermann nominiert war, und die 2013 in überarbeiteter und kolorierte Fassung im Verlag "Literatur Quickie" erschien.

Jetzt hat Markus Freise das Comic-Crowdfunding-Projekt "ONE." gestartet, das Ziel: ein Buch voll mit One-Page-Comics, die auf einer Seite jeweils eine Geschichte erzählen: Eure Geschichte. Wir wollten mehr über dieses interessante Projekt erfahren, und haben Markus nach seiner Motivation und seinen Erfahrungen gefragt.

Woher kam die Idee, ein Buch aus "One-Page-Comics" zu machen, deren Stichworte von den Lesern kommen?

Das Grundkonzept ist gar nicht so neu: Bereits seit zwei Jahren biete ich meine „Stundenbilder“ an. Die funktionieren genau so: Jemand gibt mir ein Stichwort, zahlt 50 Euro und ich zeichne ihm in (mehr oder weniger) einer Stunde ein Bild, das mir in den Sinn kommt. DIN A4, mit Bleistift und Fineliner. Die Idee habe ich vom amerikanischen Comic-Zeichner Dustin Harbin übernommen – mit seiner Erlaubnis. Ich hatte das mal auf seiner Seite entdeckt und wollte das auch gerne machen. Mich reizte die Unmittelbarkeit des Augenblicks: Eine Vorgabe aus dem Nichts, eine Stunde, los geht es. Großartig. „Eine Stunde, ein Bild für Dich …“ hat dann zwei Jahre prima funktioniert. Aber doch waren die Bilder aufgrund des Zeitlimits immer irgendwie „unfertig“.

Vor einigen Wochen kam mir deshalb in den Sinn, dass man das weiter ausbauen sollte. Ich wollte die bislang schwarzweißen Zeichnungen nicht nur „fertig“ zeichnen und vorab konzeptionieren sondern auch farbig anbieten. Da ich noch mit Hand zeichne und digital nur koloriere, bot es sich an, die Ergebnisse dann als Poster ausdrucken zu lassen. Darüber kam ich dann auf die Idee, das man, wenn man genug Bilder hat, ja auch ein Buch daraus machen kann. Ich glaube, da lag gerade der wunderbare Bildband „Overkill“ von Tomer Hanuka vor mir. Irgendwie kam dann eines zum anderen und plötzlich war mir klar: Das ist das perfekte Konstrukt für eine Crowdfunding-Kampagne. Und das wollte ich schon immer mal ausprobieren.

Ausschnitte aus ONE.

Du nennst die One-Page Comics auch "Graphic Lyrics". Kommt der Begriff von dir, und hast du davor schon in dem Bereich Graphic Novels / One-Page Comics gearbeitet?

Ich glaube tatsächlich, dass ich im Sektor Comic den Begriff erfunden habe. Das kam so: Im April 2013 haben wir - die Würzbürger Poetry Slammerin Pauline Füg als Autorin und ich als Zeichner - im Hamburger Verlag Literatur Quickie den Kurzcomic „Zauberspruch für Verwundete“ veröffentlicht. Das ist eine Adaption eines Poetry Slam-Textes von Pauline (übrigens in der Rohfassung von 2011 als Webcomic auf mycomics und 2011 von Euch für den Web-Sondermann nominiert). Das Heft hat ein Format irgendwie ähnlich einem Pixi-Buch und ist mit ca. 40 Seiten recht dünn. Der Verlag hat das als „Graphic Novel“ angeboten, aber das fand ich komisch. Das passte nicht. Da kam mir der Begriff „Graphic Lyric“ in den Sinn, als Pendant eben zur „Graphic Novel“. Ein kurzer Comic mit eher lyrischer Struktur. Die grafische Entsprechung eines Gedichts. Die für ONE. vorgesehenen One-Pager sind dann eben nur die konsequenteste Form des Graphic Lyric: Ein Satz, ein Bild. Und trotzdem erzählt es eine Geschichte. Ein paar Motive gab es da vorher schon, ja. Das sind unter anderem die aktuellen Beispiele der Kampagne.

zur Leseprobe "Zauberspruch für Verwundete"
Darum geht es mir eigentlich in allem, um das Storytelling. Deshalb bin ich ja auch Poetry Slammer: Geschichten erzählen, kurz, knackig, auf den Punkt. Und diesmal versuche ich eben die Geschichten hinter den Lieblingssätzen der Unterstützer von „ONE.“ zu finden. Ich will soviel verraten. Die erste Geschichte wird „»Kann ich nicht.« heißt immer»Will ich nicht.« heißen. Was sie erzählt und von wem, das weiß ich zwar noch nicht. Aber irgendwie passt es zu ONE. und der Entstehungsgeschichte. Und es war der erste Satz des ersten Unterstützers, meinem Bruder. Da ist dann wieder eine Geschichte in der Geschichte. Ich liebe sowas. Ich kann gar nicht anders, als sofort Bilder zu sehen.

Gibt es Crowdfunding-Projekte, die dich motiviert haben, selbst ein solches Projekt zu starten?

Eigentlich alle. Ich kann da kein bestimmtes nennen. Ich selbst habe bereits über ein Dutzend Projekte unterstützt. Darüber bin ich dann an das Thema näher herangekommen. Eins meiner liebsten Beispiele ist jedoch „Masters Of Anatomy“, das auf Kickstarter lief. Da haben sich ein paar Leute überlegt, die klassischen drei Anatomieposen von einigen der besten Illustratoren der Welt in jeweils deren Stil zeichnen zu lassen. Leider hat das Projekt so gut funktioniert, dass es förmlich explodiert ist. Das Ziel waren 20.000 Dollar - es wurden dann letztlich 532.614 Dollar. Ich freue mich schon riesig auf das Buch.

Ich bin jedenfalls ein riesengroßer Fan des Konzeptes Crowdfunding, vor allem im Hinblick auf unabhängige Künstler und Kreative. Crowdfunding ist die Demokratisierung des Kreativmarktes, der direkte Weg vom Künstler zum Kunstliebhaber, vom Geschichtenerzähler zum Zuhörer. Und gleichzeitig aber auch ein Marktforschungsinstrument. Hätte ONE. nicht funktioniert, hätte ich gewusst, dass es dafür keinen Markt gibt. Also hätte ich es dann aus Liebhaberei machen können, oder eben lassen. Aber vor Projektstart schon zu wissen, dass es eine kritische Masse an Menschen gibt, die ebenso an die Idee glauben, dass sie bereit sind dafür zu zahlen und das Projekt vorzufinanzieren, das ist revolutionär. Das wird auf Dauer vieles verändern. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass umsatzmäßig die amerikanische Crowdfunding-Plattform Kickstarter schon jetzt sozusagen zu den großen „Comic-Verlagen“ in den USA gehört, so viele Projekte werden darüber bereits finanziert.

Deshalb wollte ich das auch mal ausprobieren und habe seit mehreren Jahren nach dem richtigen Projekt gesucht. Und dann ist mir eben ONE. zugeflogen, einfach so, während ich mit meiner Tochter in den Weihnachtsferien im Schwimmbad war.

Die Umsetzung des gesamten Drumherums der Kampagne mit Texten, Videos, Beispielbilder heraussuchen, PR-Arbeit vorbereiten und so weiter, hat mich dann noch zwei Wochen gekostet und am 21. Januar habe ich das Projekt gestartet, dass nun noch bis zum 7. März läuft.

Ausschnitte aus ONE.

Welche Erfahrungen hast du beim "One"-Projekt bisher gemacht, was war das überaschendste positive und negative Feedback?

Die wohl wichtigste Erkenntnis ist, dass es nicht ausreicht ein Projekt in eine Plattform zu stellen und dann geht es aber los. So einfach ist es leider nicht. Crowdfunding ist ein Job wie jeder andere auch.

Gott sei Dank war mir das aber von Anfang an bewusst. Also habe ich ganz klassische PR-Arbeit und Marketing gemacht, habe meine sozialen Kanäle gefüttert und ein kleines Marketingkonzept ausgearbeitet. Bei machen Unterstützern, von denen ich wusste, dass ich sie über das Netz nicht erreiche aber sicher war, sie würden ONE. mögen bin ich förmlich Klinkenputzen gegangen. Als Unternehmer - ich habe ein Designbüro in Bielefeld und war lange Jahre Geschäftsführer einer großen Internet-Agentur - weiß ich auch, wie man erfolgreich Vertrieb und Marketing macht. Das waren Erfahrungen, die mir geholfen haben, ONE. dorthin zu tragen, wo es die Menschen interessant finden und nicht einfach blind auf die Macht der Masse zu hoffen.

Crowdfunding ist kein Selbstläufer. Man muss schon ackern, um das Ding an den Start zu bekommen und auch wenn es läuft, muss man immer wieder Kohlen in den Kessel werfen. Das Internet ist groß und die Ablenkungen der potentiellen Unterstützer immens. Da muss man sich erst einmal Gehör in diesem Rauschen verschaffen.

Was mir wichtig zu erwähnen ist, dass auch viele Kollegen aus der Comic-Szene, die ich direkt um Hilfe gebeten habe, die Kampagne über ihre zum Teil sehr großen Netzwerke sowohl national als auch international verbreitet haben – bis auf einige wenige Ausnahmen. Aber in der Schule ließ einen ja auch nicht jeder abschreiben, oder?

Dennoch hat mich das Interesse an ONE. und vor allem die Freude der Menschen sehr überrascht. Viele sagen mir immer wieder, wie toll sie die Idee finden und wie sehr sie sich auf IHR Bild freuen und dass sie es jedem erzählen. Dieser direkte Draht zu den Menschen, die das Buch und die Bilder später haben werden, schon jetzt vor und während der Entstehung, ist eine tolle Ebene innerhalb des Gesamtkonzeptes. Damit werden sie ein wichtiger Teil des Ganzen. Ja, ich glaube darin liegt das Geheimnis von Crowdfunding: Das die Menschen Teil von etwas werden. Negatives Feedback gab es offen gesagt bislang gar keines.


An welchen Projekten arbeitest du momentan, neben "One"?

Neben ONE., das sich ja eher einem klassischen Zeichenstil bedient, arbeite ich mit meinem Freund Marc-Oliver Schuster an einem Cartoon-Projekt mit dem simplen Titel „Katze.“ Eigentlich arbeiten wir seit vier Jahren daran. Doch ein paar Dinge haben uns kurz aufgehalten. Dieses Jahr haben wir uns aber geschworen, sorry liebe Chinesen und Pferde, wird das Jahr der „Katze“. Da wird es noch was geben. Wer sich informieren will, surft am besten zu www.katzecomic.de.

Naja, und dann bin ich ja auch noch hauptberuflich Designer, Poetry Slammer und habe eine tolle Familie. Langweilig wird mir also so schnell nicht.


Vielen Dank für das Interview!

Hier nochmal der Link: Comic-Crowdfunding-Projekt "ONE." 

Markus Freise

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Comic Crowfunding Tipps 
Und noch ein Link zum Thema, für alle die sich für Crowdfunding interessieren: im myComics-Blogs gibt es einen Artikel mit Crowdfunding-Beispielen aus den USA und Deutschland, sowie Tipps und Erfahrungen von Jano Rohleder mit seinem Don Rosa Projekt, der Beitrag ist hier online: Comic-Crowdsourcing, mit Tipps vom deutschen Don Rosa Projekt 

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