Montag, 6. Juni 2011

Mein Leben als Comicautor: Schwarwel

Um auch das Leben hinter den Comicfiguren zu zeigen, gibt es bei myComics eine Interviewreihe, in der verschiedene deutsche Comickünstler und Cartoonisten porträtiert werden. Diesmal im Gespräch: Schwarwel, Schöpfer des Schweinevogels und Art Director der Band Die Ärzte.

Schwarwel stammt aus Leipzig, zeichnete seinen ersten Schweinevogel-Comicstrip 1987 und arbeitet seit 2004 als freier Grafiker, Illustrator, Regisseur, Trickfilmer, Art Director und Comic-Zeichner. Seine Graphic Novel "Seelenfresser" erschien im März, und wurde nun von der FAZ empfohlen ("Im Dunkel blühen Leiden und Leidenschaft").


Schwarwel

Hausbesuch bei Schwarwel

Hallo, Schwarwel! Hast du heute schon was gezeichnet? Und wenn ja, was?

Hallo, ja hab ich.
Mittags habe ich meine tagesaktuelle Karikatur gemacht, wie ich sie sechs Mal in der Woche zeichne - am Sonnabend habe ich da frei und stattdessen mache ich dann die wöchentliche Folge der Schweinevogel Short Novel und den "Hossa"-Strip.
Danach habe ich die letzte meiner elf Leinwand-Grafiken für die "SEELENFRESSER: Titten + Ärsche + Über-Ich"-Exhibition gezeichnet, die ich zusammen mit dem Fotografen Nilz Böhme und dem Stahl-Bildhauer Incestum zu Pfingsten im Rahmen des 20. Wave Gotik Treffens in Leipzig ausstelle.
Am Abend habe ich eine Hochzeitskarte gezeichnet, Fotorealismus plus Tattoo-Blumen.
War also von jedem Stil etwas dabei.

Deine Arbeit ist sehr vielseitig, sie reicht von den Schweinevogel-Strips bis zu politischen Cartoons. Und nun hast du mit „Seelenfresser" eine Graphic Novel in ganz eigenem Stil vorgelegt, die auch in Zeitungen wie der FAZ Beachtung findet. Wie, wo und durch wen oder was lässt du dich inspirieren? Und wie entstand der Schweinevogel?

Der Inhalt diktiert bei mir den Stil.

Für "Seelenfresser" nutze ich den Stil, den ich bspw. damals in den Kurzgeschichten für unser EEE-Verlagsmagazin "Extrem" verwendet habe und den ich auch für Illustrationsaufträge und freie Kunstprojekte gerne verwende, weil ich mich damit sehr wohl fühle und mir der Strich locker von der Hand geht.

Die politischen Karikaturen hatte ich, als ich Ende Februar 2010 mit diesem Genre angefangen habe, viel ernsthafter und im Stile der klassischen Karikatur zwischen Scarfe, Chas Addams, Zille und Trier angesiedelt, aber in der momentanen Medienlandschaft herrscht Fracksausen, wenn die Karikaturen zu scharf sind. Viele Redakteure befürchten, dass die Meinung des Karikaturisten mit der Meinung des Redakteurs oder - Gott bewahre - mit der der Publikation gleichgesetzt wird. Sie fürchten um ihren Job. Wie heißt es so schön: "Im Seichten kannst du nicht untergehen." Deshalb sind meine Karikaturen jetzt knolliger, runder, niedlicher - da tut die Wahrheit nicht so weh ;-)

Bei Schweinevogel habe ich viel geschwankt in den letzten 25 Jahren. Der Arme musste immer herhalten, wenn ich ein neues Stilelement in meine Arbeit integriert habe - letztlich zum Leidwesen von Schweinevogel, weil die Leute ständig mit neuen Sachen konfrontiert wurden und es keinen echten Gewöhnungseffekt gab. Erst seit unserem Trickfilm "Schweinevogel - Es lebe der Fortschritt!" halte ich mich so ziemlich an einen festen Schweinevogel-Stil, weil die Charakter- und Locationdesigns für den Film mir sehr dabei geholfen haben, zu begreifen, wie Schweinevogel und seine Freunde eigentlich funktionieren.


Schweinevogel "Wunsch". Bild klicken, um kompletten Comic-Strip zu lesen.

Als ich Schweinevogel 1987 in einer flapsigen Weinschorle-Laune erfand, war ich sofort sein erster Fan. Aber ich habe Jahre gebraucht, um herauszufinden, mit welchen Abenteuern und Themen sich Schweinevogel eigentlich am wohlsten fühlt. Das Strip-Format ist für seine Kommentare bestens geeignet und mit längeren Stories kommt er auch gut klar, wenn ihm Iron Doof dabei hilft.

Inspiration hole ich mir bei allem, am liebsten direkt aus dem Leben. Stilistisch sind natürlich die ersten Zeichner und Künstler maßgeblich, weil die den tiefsten Eindruck hinterlassen: Aubrey Beardsley, Kirby, Michelangelo, Dürer, Wrightson, Bosch, Edika, Barks, Uderzo, Bisley, Da Vincis Skizzen, Sam Kieth, Buscema … die Reihe ist endlos … jedoch am meisten begeistern mich die Schwarz-Weiß-Arbeiten, Linien, Flächen und Strukturen … um es mit Slartibartfaß zu sagen: "Herrlich krikelige Küste!"


Was war der bisherige Höhepunkt deiner Karriere?

Hä? Das klingt, als sollte ich für mein Lebenswerk ausgezeichnet und dann ins Altenheim abgeschoben werden ;-)

Höhepunkte sind für mich die eigentlichen Tätigkeiten, das Machen, das Habtische: einen Plan fassen und ihn umsetzen beispielsweise. Schrittweises vorankommen, sich Ziele setzen, die Zähne zusammenbeißen und dann die Ziele erreichen.

Als ich letzte Woche das letzte Panel des "Herr Alptraum"-Storyboards fertig hatte, habe ich mich wie Bolle über die 85 Seiten gefreut, die ich da in ganz ansehnlicher Qualität runtergerockt habe. Dann habe ich der Sonne beim Aufgehen zugeschaut, hab den Hund, die Fische und die Leguane gefüttert und bin schlafen gegangen.

... und was war der Tiefpunkt?

Tiefpunkte bestehen bei mir meist aus Auftraggebern/Kunden, die nicht wissen, was sie wollen, die sich nicht klar ausdrücken können (im Sinne von Wollen), die mir meinen Job erklären wollen, obwohl ich das bei ihnen auch nicht tue, und die mir wertvolle Lebenszeit stehlen, in der ich andere Sachen machen könnte. Obwohl ich mich täglich in Geduld übe, brauche ich da manchmal seeehr laute Gitarrenmusik oder Beethoven (noch lauter), um mein seelisches Gleichgewicht wiederzuerlangen. Wenns ganz arg wird, hilft nur noch totale Stille.

Wann hast du gemerkt, dass du Talent zum Zeichnen hast, bzw. wann hast du mit dem Zeichnen angefangen?

Die übliche Antwort: Gezeichnet habe ich schon immer. Mein Lieblingssatz während meiner Kindheit: "Du kannst wirklich toll zeichnen - wenn du jetzt noch lieb wärst …"
Beim Zeichnen bin ich geblieben, lieb sein kann ich auch ab und an.

Was sind deine aktuellen Projekte?

Wie erwähnt mache ich sechs Tage in der Woche eine tagespolitische Karikatur als Freelancer für Web- und Printmedien; jeden Sonntag erscheint der neue Strip meiner "Schweinevogel Short Novel" u. a. auf l-iz.de und HalleForum.de; jede Woche gibt es ein Panel des anderen, etwas undergroundigeren Schweinevogel-Fortsetzungsstrips "Hossa!" nach Ideen von Thowi für fanclubalex.de.

Jeden Freitag erscheint die neue Seite meiner Graphic Novel "SEELENFRESSER – Zweites Buch: Glaube" im Newsletter von comiccombo.de; jeden ersten Mittwoch im Monat erscheint mein "Herr Mauli"-Cartoon auf CULTurMAG.de; zu besonderen Anlässen wie Mutter- oder Kindertag gibt es einen Cartoon auf schweinevogel.de; quartalsweise Karikaturen im SPD-Sachsen-Newsletter (ohne inhaltliche Auflagen wohlgemerkt!) ... Also das sind die Sachen, die ich regelmäßig mache.
Daneben gibt es die aktuellen Projekte wie die WGT-Ausstellung "SEELENFRESSER: Titten + Ärsche + Über-Ich" und den vollanimierten Kurzfilm "Herr Alptraum und die Segnungen des Fortschritts", der auf dem Buch von Christian von Aster basiert, zu dem ich bereits die Charaktere und Illustrationen gemacht habe. Unser Studio Glücklicher Montag hat für dieses Projekt eine Förderung der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen erhalten und neben der Regie zeichne ich noch für Drehbuch, Storyboard und Animation verantwortlich - für die 10 Minuten Film werde ich mich die nächsten Monate durch ca. 7200 Phasenzeichnungen kämpfen müssen, herrlich!
Und dann gibts da noch die laufenden Agenturaufträge wie Umschlaggestaltungen für Notenbücher von Bosworth Music, Gestaltungen, Logo-Designs und Illustrationen für die Visionale Leipzig oder für Webauftritte wie Unikäfer.de undundund …

Zeichner haben es nicht leicht hierzulande. Kannst du eigentlich von deinen Comics/Cartoons leben?

Nur von den Comics und Cartoons könnte ich wahrscheinlich nicht leben - aber ausprobiert habe ich das noch nie, weil ich daneben noch vielen anderen Interessen nachgehe, die wir in unserem Studio Glücklicher Montag ja auch alle abdecken können und wollen: Trickfilm, Illustration, Alternative Arts, Logo-Design, Buchgestaltung …
Mit unserer monatlichen Radioshow "Kunst & Schund" auf Radio Blau bin ich in der glücklichen Lage, meinen Berufskollegen mal ein Mikro vor die Nase halten zu können - es ist erstaunlich, wie viele verschiedene Wege es gibt, in unserem Sektor seinen Lebensunterhalt zu bestreiten - von Lesungen seiner Comics durch Ralf König über Walter-Moers- oder Hellboy-Hörbücher bis zur Comedy-Show von Fil gibt es ein Riesenspektrum, das von der ursprünglichen gezeichneten Knollennase auf einem Blatt Papier initiert wurde.


Schwarwel-Webseite: www.schwarwel.de

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang das Medium Internet für dich?

Natürlich sind mir gedruckte Bücher und Hefte lieber. Die Wahrnehmung von Zeichnung-plus-Text und das Lesevergnügen sind vollkommen anders (lies: tausend Mal besser) als auf einem Monitor, auf dem iPhone oder einem iPad.
Aber ich bin ein Dinosaurier und die neuen Medien machen ihren Weg. Die trampeln einfach alles platt mit ihrem technischen Wunder-Schnickschnack.
Dabei sind Comics, Karikaturen und Cartoons zwar in der neuen Medienwelt vertreten, aber sie sind eine unbewegliche Kunstform, die für gedrucktes Papier entwickelt wurde - und damit dürfte ihr Haltbarkeitsdatum schon ziemlich nah sein.
"Motion Comics" und der ganze Kram sind sicher (bzw. hoffentlich) nur eine Zwischenphase und es wird neue Ausdrucksformen geben, die den neuen Medien und der Art, wie man damit liest und wahrnimmt, gerecht werden.

"Ulkbär" und derartige Flash-Comics sind da schon mediengerechter - aber die machen auch eine Heidenarbeit, wenn sie gut sein sollen. Und diese Arbeit muss irgendwie finanziert werden. Zwar habe ich auch schon mit dem Gedanken gespielt, Schweinevogel in animierten Shorts zu präsentiereen, aber dabei müsste ich auf viele Qualitätsmerkmale verzichten (wie die Synchronstimmen oder die oppulenten Backgrounds aus dem Film, der hier den Standart setzt) und das ist es mir nicht wert.

Als Vehikel ist das Internet für mich natürlich extrem wichtig - die meisten meiner Sachen erscheinen zuerst online. Bei einem Strip wie Schweinevogel mag das cool sein, aber schon bei den Karikaturen habe ich meine Probleme mit der pixeligen Begrenzung der Qualität, weil die Ladezeiten ja kleinkleinklein sein müssen - das steht dem Arbeitsaufwand für so eine Seite diametral entgegen.

Deine Graphic Novel „Seelenfresser" erscheint auch online. Wie kam das bei den Lesern an?

Bei "SEELENFRESSER" hört der Spaß dann ganz auf - die Erfahrungen mit unserem ersten Album zeigen das. Viele unserer Online-Leser haben kurz vor Ende des ersten Buches das Lesen am Rechner eingestellt, weil sie sich nicht den Lesegenuss verderben wollten, wenn das gedruckte Album da ist.
Denn diese Arbeiten sind für HiRes-Ansichten gemacht - mal sehen, was ein iPad-Magazin leisten könnte. Damit spielen wir gerade ein Bisschen herum.

Wie schon erwähnt, glaube ich nicht, dass das Medium Comic und das Medium Internet zusammenpassen. Es wird sich eine neue Kunstform entwickeln, die das ganze Verschmelzen lässt. Die ganzen Handy-Videos und die Sims-Welten zeigen ja schon, was gehen kann. Sobald sich eine Programmroutine als preiswert und schnell und dabei kunstvoll genug erweist, haben wir ein neues Medium, wo Macher und Rezipienten wieder abgeglichen sind.
Das erste ausschließlich mit dem Computer gemachte Comic sah auch voll Scheiße aus und jetzt können Leute wie Nadia Enis mit dem Wacom-Tablet zabern. Nix für mich, zugegeben. Ich mag Stifte und Papier und Lichttische und Korrekturweiß. Obwohl ich bei jedem Fehler automatisch "Apfel+Z" denke.

Gibt es für dich so etwas wie einen normalen Arbeitstag und, wenn ja, wie sieht der aus?

Aufstehen, Kaffee, Kippe, Karikatur, Tierfutter, Haushalt, Garten, Studioarbeit, Einkauf, Heimkehr, Tierfutter, Abendbrot, Lichttisch, Garten, Weiterbildung, Bett.
Mehr oder weniger jeden Tag.
Gefällt mir.



Falls dir neben dem Zeichnen noch Zeit für anderes bleibt, was machst du dann am liebsten?

Daneben gebe ich Kurse zum Thema an der Leipziger Volkshochschule oder ich schreibe neue Drehbücher und Plots oder wir machen Schnitzeljagd mit Schweinevogel im Leipziger Zoo oder wir beteiligen uns am Dschungelfest in der Kulturfabrik Leipzig, wo sich auch der Glückliche Montag befindet, oderoderoder … die Tage sind zwar gleich lang, aber verschieden breit.

Angenommen, du könntest eine Comicfigur sein, für wen würdest du dich entscheiden?

Popeyes "I yam what I yam"-Philosophie gepaart mit seiner direkten Art und seiner Liebe und Verständnis kommt mir am meisten entgegen. Aber ich fürchte, in mir ist noch viel zu viel vom Hulk, erstes Heft by Stan Lee and Jack Kirby.

Falls ein junger, begabter Mensch Lust verspürt, Comiczeichner zu werden, würdest du ihm eher zu- oder eher abraten?

Wenn es ein störrischer Charakter ist, würde ich vehement abraten, um sicherzustellen, dass er dann erst recht seinem Bauchgefühl folgt und die Wut in seinem Bauch in etwas Schöpferisches verwandelt.
In meinen Kursen lerne ich einen guten Durchschnitt durch die Welt der "Ich-will-Comiczeichner-werden"-Menschen kennen. Auf manche würde ich wetten, auf viele nicht.
Denn du brauchst für diese Berufung vor allem eins: Durchhaltevermögen.

Was könnte man dem Nachwuchs also empfehlen?

3% Talent, 97% Übung.

Und was wärst du geworden, wenn es mit dem Zeichnen nicht geklappt hätte?

In tiefen Sinnkrisen google ich beim Arbeitsamt nach Jobs. Friedhofsgärtner ist wahrscheinlich so ziemlich das einzige, das mich gleichermaßen ausfüllen könnte wie das Zeichnen. Meine Cousine hat auf ihrem Weg zur Bestatterin eine derartige Ausbildung hinter sich und ich befürchte fast, für den theoretischen Teil fehlt mir ihre bewundernswerte Willenskraft.

Danke für das Interview!

Schwarwel auf myComics.de:
Gesamtübersicht mit Polit-Cartoons; Extralink: Schweinevogel-Serie, Seelenfresser

Mehr von und über Schwarwel, inklusive der Karikatur des Tages, und den Schweinevogel Short Novels gibt es auf Schwarwel.de

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Weitere Interviews aus der Reihe:
Das Leben als Comicautorin: Sarah Burrini (Ponyhof)

Das Leben als Cartoonist: Joscha Sauer (NICHTLUSTIG)

Das Leben als Comicautor: Ralph Ruthe

1 Kommentar:

  1. Eines der seltenen Interviews heutzutage, die scheints nicht mit Standardfragen per eMail geführt wurden und deshalb wirklich lesenswert und interessant rüberkommen. Dazu auch noch mit einem 'undergroundigen' Zeitgenossen wie Schwarwel.
    Danke schön.

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